Man nannte sie Goldene Zunge, weil ihre Zunge tatsächlich aus reinstem alchemistischen Gold bestand, und es wurde behauptet, sie sei entweder Schwester oder Bekannte von Goldenem Bikini, wie man eine weitere Teufelin nannte, die für ihren Bikini berühmt war. Da die Elemente über eine sympathetische Verbindung verfügen, liegt es nahe, dass es etwas wahres daran ist, dass man die beiden immer zusammen erwähnt; was sie miteinander verbinden würde, ist die Konnektivität des Ähnlichen, nämlich der goldenen Dinge.
Der Legende zufolge, die man in Kneipen von Klein-Kalkutta erzählt, handle es sich bei Goldener Zunge um eine Pilgerin, und dies könnte eine weitere Gemeinsamkeit sein, die sie mit Goldenem Bikini unter derselben Kategorie einzuordnen lässt. Es ist zu bemerken, dass es in Klein-Kalkutta üblich ist, um dem Chauvinismus entgegenzuwirken, Migrantinnen Pilgerinnen zu nennen. Goldene Zunge musste ziemlich weite Strecke zurücklegen, bevor sie mitten im größten Konglomerat der Leere gelandet war. Es wird angenommen, dass sie aus deren Randgebieten stammte.
Ihre Reise war womöglich voller Verhängnisse, aber das lässt sich nun mal nicht belegen. Trotzdem steht eines fest: Als sie im Klein-Kalkutta angekommen war, schaute sie wie gewohnt bei der zentralen Taverne vorbei, ohne zu wissen, dass es sich um eine recht große Unterhaltungsanlage handelte, die im Grunde genommen aus Tausenden von Kneipen und weiteren Einrichtungen bestand.
Aus Unwissen stürmte sie also in einen Raum hinein, wo ihrer Meinung nach der örtliche Bonze sein Arbeitszimmer haben sollte. Statt den Bonzen fand sie im Raum jedoch nur ein paar Besucher, die Bardame und den Türsteher. Der letztere wurde sich dessen sofort bewusst, dass die neue Teufelin sich verirrt hat, und fragte sie hinterlistig nach ihrem Ausweis, was natürlich eine Falle war, denn das Sich-Ausweisen war in Klein-Kalkutta unüblich und für die Gäste gar nicht vorgesehen.
"Soll ich den gebären oder was?", entgegnete die Teufelin ohne lange zu überlegen und bereitete sich innerlich für ein Gemetzel vor, das aus ihrer sicht bereits ganz oben auf der Tagesordnung stand.
Diese auf den ersten Blick recht gewöhnlichen Worte klangen plötzlich wie eine Musik für die Ohren des Rausschmeißers, und dies lag nicht etwa daran, dass der Teufel zu einfältig war, sondern vielmehr daran, dass Goldene Zunge die Erstentdeckerin dieser Floskel war, wie es später von mehreren Forschern aufschlussreich bewiesen wurde. Also klangen die Worte dermaßen niedlich für die Ohren des hartgesottenen Teufels, der zuvor noch nie etwas über irgendwelche Geburte gehört hatte, dass er ohne Vorwarnung eine Flasche holte und die Teufelin in die nächste private Kabine einlud, wo sie ihn natürlich besessen durfte, weil anders ging es nicht.
Der Rausschmeißer wurde von nun an zum Apostel Goldener Zunge, und dank seiner fleissiger Arbeit verbreitete sich die frohe Botschaft im Nu über ganzes Klein-Kalkutta. So kann aus einem sinnfreien Wort, das in den leeren Raum gefallen ist, eine große Legende herauswachsen, wo doch jeder von uns das Potenzial hat, etwas Neues zu entdecken. Wenn man etwas bei der Erforschung der Bräuche in einer Schöpfungswelt lustig findet, sei es Geburte oder Tode, sollte man sich nicht davor scheuen, diese Entdeckungen mit Worten auszukleiden.